Konzept

Bgr.RAD (Hintergrundstrahlung)

Ein Ausstellungs- und Publikationskonzept von Sulamith Sallmann  & Enkidu rankX

V 1.1 / Berlin 03.05.2017

Wenige Dinge in der Welt sind heutzutage so mit Angst besetzt wie die Nutzung der Atomenergie, sei sie zivil oder militärisch. Die Furcht vor Strahlung, Unfällen, Kriegen – generell dem Unfassbaren – kristallisieren sich im Nexus Kernspaltung und dessen Anwendung. Dabei beherrscht das Thema beide grundlegende Argumentationen: die der Nutzungsgegner (unkontrollierbare Gefahr, unabsehbare Spätfolgen …) wie auch deren Befürworter (grundlose Angstmache, diffuse Paranoia …).

Die Spaltung des Atoms – von einigen als Start ins Anthropozän gewertet – hat seit ihrem ersten Erscheinen (spätestens mit der Bombe auf Hiroshima) leidenschaftliche Reaktionen befördert. Erst die begeisterte Hingabe an das Atomzeitalter der 50er und 60er mit ihren utopischen Zukunftsvisionen, dann die stetig steigende Skepsis der 70er, die in den 80ern ihre Kulmination in Massenprotesten, Weltende-Szenarien des Kalten Krieges und einer weltweiten Umweltbewegung fand. Schließlich die Störfälle Three Mile Island, Tschernobyl, Fukushima… Die Welt ist auch heute noch zutiefst gespalten, wenn es um Atomkraft geht.

Das Thema der Angst selbst, spielt im Diskurs des 20ten und Beginn des 21ten Jahrhunderts eine große Rolle. Die Welt ist komplex, interdependent und multipolar geworden. Utopien haben sich in Dystopien verwandelt; die einfachen Antworten sind schwierigen Fragen gewichen. Und nichts symbolisiert diesen Wandel besser, als die nukleare Frage.

Die Klimaerwärmung ist ein Fakt. Ist da nicht die scheinbar CO2-neutrale Atomkraft eine mögliche Alternative, zumindest als Brückentechnologie? Die multipolare Welt ist chaotisch; wer schützt uns vor „Schurkenstaaten“ wenn nicht unsere atomare Abschreckung? Kurz: ist die Nutzung dieser Technologien nicht vielleicht das kleinere Übel?

Mit diesem Gewirr aus Angst, Wissenschaft, strategischen Erwägungen, aber auch persönlichem Erleben, beschäftigt sich das multimediale Projekt „Bgr.RAD – Hintergrundstrahlung“. Vor der Kulisse weltpolitischer Erwägungen verdichten ein Künstlerbuch der Fotografin Sulamith Sallmann und ein Hörspiel des Medienkünstlers Enkidu rankX den Stand der Beklemmungen. Dabei geht es in diesem Projekt unter anderem um Atomenergie, sie ist ein Kern einer Frucht, die die Künstler versuchen zu schälen. Zahllose Schichten wie Politik, Mediendiskurs, Geschichte, persönliche und intime Erfahrungen im Umfeld von Kernkraftanlagen, der Begriff der Heimat, der Wahrnehmung von Gefahr schmiegen sich um dieses Epizentrum, verhüllen einander in fortwährender Superposition – die eine Wahrheit wird sich hier nicht finden lassen.

Die gesteigerte Angst selbst, Paranoia, wird zum Thema des Gesamtwerks.

Ihren Ursprung findet die Arbeit zum einen in der Kindheit Enkidu rankX’s. Aufgewachsen im nuklearen Dreieck der normannischen Landschaft La Hague – im Umkreis von 30 km finden sich eine Wiederaufbereitungsanlage, ein Kernkraftwerk und eine Atom-U-Bootwerft – hat der Künstler sich früh mit den Früh- und Spätfolgen der Atomkraft auseinandersetzen müssen. Und genau wie die Fotografin Sulamith Sallmann, ist er ein Kind der 80er, gebadet im wieder aufkeimenden Schrecken eines sich neuerlich erwärmenden Kalten Krieges. Beide erlebten diese Zeit aus verschiedenen Blickwinkeln, Sulamith Sallmann im Osten, und Enkidu rankX im Westen der Blöcke. Tschernobyl hat beide Teenager nachhaltig beeindruckt und emotional geprägt. Zahlreiche gemeinsame Aufenthalte in der Hague haben den Wunsch genährt sich künstlerisch, d.h. die eine fotografisch und der andere filmisch mit der Nuklearindustrie auseinander zu setzen.

Ein zweiter Impuls wurde durch das zeitweise Verschwinden Wladimir Putins im Frühjahr 2015 (auf einem der Höhepunkt des Ukraine Konflikts) gesetzt. In der ca. 10 tägigen und noch immer ungeklärten Abwesenheit des russischen Staatspräsidenten schnitt Enkidu rankX eine enorme Menge Langwellen-Kommunikation mit (u.a. viele militärische Transmissionen, teils offen, teils kodiert) und begann auf dieser Basis seine Arbeit an der Klangcollage Bgr.RAD.

Es entstand schließlich der Wunsch beider Künstler das Thema Strahlung ad abstraktum in einer gemeinsamen Ausstellung / Publikation zusammen zu führen. Diese komplexe multimediale Arbeit jedoch nur auf das Thema Nukleare Bedrohung reduzieren zu wollen, führt in die Irre. Vielmehr läuft der Disput auf den unterschiedlichsten Ebenen ab und verzahnt ein neugieriges und ängstliches Unwohlsein.

Zahllose Unwägbarkeiten, ja eine existentielle Orientierungslosigkeit, strahlt da im Hintergrund der Moderne: es geht das Gespenst des Postfaktischen um, Post Privacy, Elektrosmog, Handystrahlen, Impfskepsis, Klimawandel oder Klimaschwindel, Chemtrails und HAARP, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Regierungsverschwörungen, das Misstrauen den Medien gegenüber. Das was uns in diesen postmodernen Zeiten gemein zu sein scheint, ist die fortwährende Furcht vor dem, was schemenhaft unter der Oberfläche des Offensichtlichen lauert. Eine diffuse Paranoia hat uns durchdrungen, sicherlich gespeist durch die Unübersichtlichkeit der interdependenten globalisierten Welt, aber tiefergehend als die Ablehnung des Establishment in den Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts. Denn war dort noch eine (mehr oder weniger imaginäre) Alternative von Frieden und Liebe, eine Art Perspektive, so haben wir in der heutigen Zeit jeden Glauben an eine (abstrakte) Zukunft verloren.

Slavoj Žižek, der Starphilosoph dieser Neo-Epoche bemerkte einmal, es sei aktuell einfacher, sich das Ende der Welt auszumalen, als eine Alternative zum entgrenzten Kapitalismus, also dem aktuellen System. Man fühlt sich an Berichte aus dem Wien der 1910er Jahre erinnert, eine Mischung aus dynamischem Fortschrittsglauben und fatalistischer Sehnsucht nach der Apokalypse.

Künstlerisches Konzept / Umsetzung

Das hier beschriebene Thema scheint, zumindest in Deutschland, abgehakt. Tatsächlich haben Medien, Parteien, NGOs und eine große Anzahl von weiteren Initiativen viel Energie in dieses Problem investiert. Das Kunstprojekt “Hintergrundstrahlung” jedoch nähert sich dem Thema auf einer gänzlich anderen, eben künstlerischen Ebene und ermöglicht so einen neuen Zugang zum Problem, der dem meinungslastigen Diskurs der letzten 30 Jahre abgeht. Durch eine assoziative Herangehensweise vermittelt die Arbeit ein konkretes, fühl- und erfahrbares Verständnis des Problems bzw. der Bedrohung, das abstrakte Zahlen und Statistiken nicht vermitteln können. Durch ihre mediale Spezifik, der Verschränkung traditioneller, analoger Werke (Fotografien, Klang-Raum-Installation) und moderner digitaler Arbeiten (interaktive bzw. partizipatorische Website, Videokunst) wird die Zielgruppe maximiert und das Thema einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Das Thema der Verfremdung – der analogen in den Fotografien, erzeugt durch Linsen und Filter und der digitalen der Videokunst und der Soundinstallation – spielt im manufakturalen wie im übergeordneten Sinne eine große Rolle in dieser vielschichtigen Arbeit.

Auch entstehen durch die Einbeziehung von Wissenschaftlern, politischen Akteuren und betroffenen Menschen Synergieeffekte, die eine multiperspektivische Betrachtung der komplexen Problematik ermöglichen. Anknüpfend an heutige Seh- und Hörgewohnheiten entsteht so ein Ausstellungsraum, der mit allen Sinnen spielt und dadurch eine Atmosphäre der Un/Heimlichkeit erschafft, die Hintergrundangst einkreisend und die Malaise der Situation evozierend. In diesem mehrdimensionalen Klang-Bild-Kunstraum kann somit diese hintergründige Strahlung verstärkt und sichtbar / hörbar gemacht werden und dies auf eine Art und Weise, die es dem Besucher der Ausstellung schwer macht, sich argumentativ zu entziehen.

Konkret besteht die Ausstellung aus zwei großflächig projizierten essayistischen Videokunstarbeiten, die eine klassische Fotoausstellung mit ca. 30 mittelformatigen Fine-Art Prints einrahmen. Diese wird von mehreren Terminals unterbrochen, an denen sich der Besucher über einzelne, spezifische Inhalte informieren kann. Die ganze Ausstellung wird von einem Surround-Sound untermalt, welcher narrativ angehört oder auch nur ambient wahrgenommen werden kann.

Der Anspruch der Arbeit ist es, einen Raum zu schaffen, der als ganzes verstanden wird, ein Kunstkomplex, der ergänzt wird durch die Publikation eines Künstlerbuches, welches die einzelnen Elemente der Ausstellung aufgreift und verdichtet. Daher wird dem Bild-/ Textband eine DVD beigelegt, die sowohl die Filme als auch das Hörspiel enthält. Schließlich wird die Veröffentlichung durch eine stetig erweiterbare Projektwebsite ergänzt, die auch als Nexus für weitere, zukünftige Interaktionen und Synergien dienen soll.

Die Ausstellung ist ferner so konzipiert, dass sie in verschiedensten Ausstellungsräumen funktioniert. Zum Teil auch den Ausstellungsort mit einbeziehend, soll sie wachsen und ist nicht als abgeschlossene Black Box gedacht sondern als ein lebendiges Netzwerk.

 

Vorgeschlagene Orte für die Ausstellung:

Le Point du Jour (http://www.lepointdujour.eu)
Kunstzentrum mit hauptsächlichen Fokus auf Fotografie in Cherbourg (nahe La Hague)

Völklinger Hütte (https://www.voelklinger-huette.org)
Technisches Museum und Veranstaltungsort (Nähe Cattenom)

 

Stillgelegtes Atomkraftwerk Greifswald (Lubmin)
(http://www.ewn-gmbh.de/ewn/standort-greifswald/oeffentlichkeitsarbeit/besichtigung-block60.html)

Radioteleskop Effelsberg
(http://www.mpifr-bonn.mpg.de/effelsberg/besucher)

 

Einrichtungen des Max Planck Instituts

Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft

 

Kurzvitae

 

Der deutsch-französische Digitalkünstler Enkidu rankX, geboren 1972 in Saarbrücken, beschäftigt sich seit dem Abschluss der Filmhochschule IAD in Belgien mit den ästhetisch-kreativen Möglichkeiten des digitalen Mediums in Bild und Ton. Seine Arbeiten umfassen Videokunst, interaktive Installationen und live Performances in Kombination mit Musik und Tanz. Enkidu rankX lebt und arbeitet seit 1996 als freier Künstler in Berlin.

 

Die Arbeiten der 1971 in Eilenburg geborenen Fotografin Sulamith Sallmann, sind stets durchzogen von einer Art entfernten Nähe. Immer wieder offenbart sich diese Distanz. Die eigene zum Sujet / Motiv, die in ihren Fotografien selbst zum Thema werden kann, aber auch die Entfernung bzw. Entfremdung der Menschen und Dinge, die sie abbildet. Jeder Mensch ist eine Welt; doch eine Überbrückung, eine gemeinsame Welt gar, scheint unerreichbar.